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Kleinvieh macht auch Mist: Warum es sich fürs Klima lohnt, komplexe Nebenprozesse zu bilanzieren

Werden Klimabilanzen nennenswert genauer, wenn man auch scheinbar nebensächliche Prozesse bis ins Detail analysiert? Ein Team der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin beantwortet diese Frage mit Ja: Im Vorhaben KlinKe haben die Forschenden zahlreiche Sekundärprozesse im Krankenhaus analysiert und das Optimierungspotenzial detailliert herausgearbeitet. Die Erkenntnisse sollen Krankenhäusern helfen, ihre Klimabilanz insgesamt zu verbessern.

Klimabilanzen sind ein nützliches Mittel, um anschaulich darzustellen, welche Industrien und Gewerbe wie viele klimaschädliche Emissionen erzeugen und wo nachgebessert werden kann. In Krankenhäusern gibt es allerdings zahlreiche unterschiedliche und teils komplexe Sekundärprozesse (siehe Infobox), bei denen die Messung aufwändig ist und deren Klimawirkung deshalb bisher nur grob geschätzt wird.

Ein Mann in Kittel, Handschuhen, Schutzhaube und Gesichtsmaske reinigt medizinische Geräte mit einem Lappen
Viel mehr als nur Medizin: In Krankenhäusern laufen zahlreiche Sekundärprozesse wie die Reinigung, die oft nicht genau genug in die Klimabilanz einbezogen werden. © Adobe Stock / Juan

Zwei BWL-Professorinnen von der HWR Berlin wollten es genauer wissen und die Klimabilanzen von Krankenhäusern verbessern. Prof. Dr. Andrea Pelzeter, Expertin für Facility Management, und Prof. Dr. Silke Bustamante, die das Institut für Nachhaltigkeit an der HWR leitet, nehmen deshalb in ihrem Projekt KlinKe die Sekundärprozesse im Krankenhaus in den Blick.

All diese Prozesse erzeugen einen eigenen CO2-Fußabdruck, sind aber oft so kleinteilig oder so komplex, dass sie in bisherigen Klimabilanzen meist nur unter „Sonstiges“ zusammengefasst wurden. Insgesamt ist der Anteil dieser Prozesse an der Gesamtbilanz dann allerdings wieder so groß, dass es sich doch lohnt, sie näher zu betrachten und nach Optimierungsmöglichkeiten zu suchen.  

Auch kleine Beiträge können einen großen Unterschied machen

In Deutschland trägt das Gesundheitswesen zur Gesamt-Klimabilanz etwa fünf Prozent der Emissionen bei. Der Fokus lag deshalb bislang eher auf anderen Sektoren wie Verkehr und Energieerzeugung, die mehr CO2 ausstoßen und damit auf den ersten Blick mehr Einsparpotenzial bieten. Doch auch fünf Prozent sind schon ein substanzieller Beitrag, vor allem, wenn das Potenzial für Veränderungen groß ist – und im Krankenhaus können die Sekundärprozesse bis zu 70 Prozent der gesamten Emissionen ausmachen. Betrachtet man also die Klimabilanz des einzelnen Krankenhauses, haben die Sekundärprozesse in der Summe eine ebenso große Bedeutung wie etwa Klimaanlagen und Beleuchtung.

Die Sekundärprozesse im Krankenhaus seien gerade deshalb so spannend, weil sie so schwierig zu erfassen seien, findet Andrea Pelzeter. Und Silke Bustamante zieht ihre Motivation für das Vorhaben noch einmal aus einer anderen Perspektive: „Klima und Gesundheit bedingen sich gegenseitig, und die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels können beträchtlich sein. Krankenhäuser wiederum sind Orte der Gesundheit oder sollten es jedenfalls sein – umso wichtiger ist es aus unserer Sicht, alle dort stattfindenden Prozesse so klimaschonend wie möglich zu gestalten.“

Zunächst einmal musste das Team allerdings herausarbeiten, welche Prozesse es im Krankenhausbetrieb gibt und welche davon in die Kategorie „Sekundärprozess“ fallen. Nach dieser Bestandsaufnahme wurden 43 ausgewählte Prozesse in die Kategorien A, B und C eingestuft: A-Prozesse sollten vertieft betrachtet werden, C-Prozesse hingegen nur grob geschätzt. Bei diesem Auswahlprozess konnte KlinKe eine seiner großen Stärken ausspielen: Die Zusammenarbeit mit den Projektpartnern, die in diesem Vorhaben besonders ausgeprägt ist. Sie waren von Anfang an in die Analyse eingebunden und tragen seither maßgeblich zu den Projektergebnissen bei.

Partizipation als Erfolgsfaktor im Projekt

„Wir forschen schon seit Jahren erfolgreich in partizipativen Projekten“, sagt Pelzeter. „Bei KlinKe arbeitet etwa die Hälfte der Partner wirklich intensiv mit, vor allem die Krankenhäuser sind stark involviert.“ Das war auch von Anfang an so vorgesehen: Alle Projektpartner – zu denen neben Krankenhäusern und Krankenhausdienstleistern auch die entsprechenden Fachverbände für Krankenhaustechnik und Facility Management gehören – mussten ein gewisses Maß an Beteiligung zusichern.

Der „harte Kern“ der Partner trifft sich seither alle zwei Monate zu Gesprächen oder Workshops und geht dann mit Hausaufgaben in die nächste Projektphase. Die Daten, die die beteiligten Krankenhäuser und Dienstleister für das Projekt erheben, werden von den Projektmitarbeitenden systematisch eingesammelt und aufbereitet. Ziel des Ganzen ist ein Leitfaden, mit dem Krankenhäuser und Einrichtungen des Gesundheitswesens ihre Klimabilanz genauer kalkulieren und optimieren können.

Sekundärprozesse

Sekundärprozesse sind unterstützende Abläufe in einem Unternehmen, die ihm dabei helfen, sein Kerngeschäft zu betreiben – im Krankenhaus ist das die medizinische Behandlung. Hausmeistertätigkeiten, Essensversorgung und die Reinigung von Räumen und Wäsche sind zwar nötig, um den Betrieb des Krankenhauses aufrecht zu erhalten. Sie gehören aber nicht direkt zum Kerngeschäft und werden häufig von externen Firmen erbracht; damit handelt es sich um Sekundärprozesse. Bei vielen anderen Prozessen sind die Übergänge allerdings fließend und die Definition ist nicht so klar: Verbandsmaterial zum Beispiel ist für medizinische Behandlungen unerlässlich. Doch da es meist durch externe Dienstleister eingekauft und aufgefüllt wird, wird seine Herstellung und Beschaffung trotzdem unter den Sekundärprozessen bilanziert.

Nach zweieinhalb Jahren und zahlreichen Workshops ist diese Datensammlung weitgehend abgeschlossen, und die beiden Projektleiterinnen können erste Erkenntnisse daraus ziehen. Interessant sei vor allem, wie deutlich die Mobilität von Mitarbeitenden und Patienten – also ihre Anfahrtswege zum Krankenhaus und die gewählten Verkehrsmittel – die Klimabilanz beeinflusse, sagt Pelzeter. Gemeinsam mit weiteren Prozessen wie Wäscherei, Zentrallabor, Abfallentsorgung und Speisenversorgung wird sie damit im Leitfaden eine besondere Rolle spielen.

Der Faktor Mobilität ist zudem auch auf die gesamte Arbeitswelt übertragbar: „Wir alle müssen irgendwie morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause kommen“, so Bustamante. „Warum also wohnen Menschen da, wo sie wohnen, und nicht vielleicht näher am Arbeitsort? Welche Anreisemöglichkeiten haben sie, und kann man diese womöglich positiv beeinflussen? Solche Fragen müssen sich künftig ja nicht nur die Krankenhäuser stellen, sondern alle Arbeitgeber.“

Nur wer sich mitgenommen fühlt, wird auch Veränderungen mittragen

Generell verlangen die Projektergebnisse von KlinKe den Beteiligten einiges an Änderungswillen ab: Prozesse zu analysieren bedeutet auch, dass man sie hinterfragt und dann womöglich von eingetretenen Pfaden abweichen muss. Daher gehören auch spezielle Change-Workshops mit einigen Projektpartnern zum Programm des Vorhabens, in denen sie konkrete Projektpläne für die Optimierung von Prozessen aufstellen und vor allem herausarbeiten, wie man die Menschen dabei mitnimmt. „Wenn man Prozesse ändern will, braucht man immer auch die Leute, die es machen“, betont Bustamante. Und Pelzeter ergänzt: „Theoretische Überlegungen sind oft so praxisfern, dass man sie zunächst durch verständliche Kommunikation in die Realität des Alltags übersetzen muss.“

Daher sind auch menschliche Hinderungs- und Motivationsfaktoren Gegenstand der Analyse von KlinKe. Man müsse eben das Ganze im Blick behalten, um die Bereitschaft der Menschen zum Mitmachen zu erhalten, finden die beiden Forscherinnen. „Unsere Analyse hat gezeigt, wie vielfältig die Einsparpotenziale sind“, so Pelzeter. „Auch kleine Dinge können ja schon helfen, etwa wenn man den Stand-by-Verbrauch medizinischer Geräte reduziert.“

Bleibt die entscheidende Frage: Kann man solche Einsparpotenziale in dieser Detailtiefe auch für andere Branchen herausarbeiten? Pelzeter und Bustamante sind überzeugt von der Übertragbarkeit ihrer Arbeit auf Prozesse außerhalb von Krankenhäusern, zum Beispiel in der Logistik. Sie schmieden bereits Pläne für Anschlussvorhaben und denken zudem über die Digitalisierung ihres Leitfadens nach. Klar ist für beide: Das Ergebnis von KlinKe darf auf keinen Fall in irgendeiner Schublade verschwinden, es soll „auf die Straße“ und dabei helfen, Schritt für Schritt die Welt zu verändern – denn auch kleine Veränderungen können am Ende eine große Wirkung haben.