Stahlhart ist nicht genug : Datum:
Moderne Pflüge graben rund 10.000 Hektar Acker um, bis ihre Stahlteile wegen Materialverschleiß ausgetauscht werden müssen. Ein Forschungsprojekt der Ernst-Abbe-Hochschule Jena will die Nutzungsdauer verlängern: mit einem innovativen Stahl, der härter und verschleißfester ist. Bodenbearbeitungsgeräte in der Landwirtschaft könnten so um ein Vielfaches länger genutzt werden und auf diese Weise Energie und Ressourcen sparen.
Pflüge werden auch im modernen Ackerbau eingesetzt. Zwar sind sie heute größer und ausgeklügelter als die hölzernen Geräte, die einst hinter Pferde und Rinder gespannt wurden. Doch ihre Aufgabe hat sich kaum verändert: den Boden wenden, lockern, mischen. Die Krallen des Pflugs graben sich tief in die Erde, zerkleinern Wurzeln abgeernteter Pflanzen oder verteilen ausgebrachte Gülle.
Moderne Pflüge bestehen aus Stahl, weil sie immensen Belastungen ausgesetzt sind. Ständig prallen sie mit Steinen im Erdreich zusammen. Die Kraft der Kollisionen nimmt dabei seit Jahren zu, weil Bodenbearbeitungsgeräte aus Gründen der Wirtschaftlichkeit immer schneller über die Äcker gezogen werden. Rund 10.000 Hektar können sie deshalb bestellen – ihre sogenannte „Standzeit“. Dann verschleißt der Stahl, er reißt oder bricht und muss ersetzt werden.
„Das ist eine Verschwendung von Energie und Material“, sagt Maik Kunert, Professor für Werkstofftechnik an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. „Auf die Lebenszeit landwirtschaftlicher Geräte gerechnet, fließen 65 Prozent der Gesamtenergie in ihre Herstellung, weil die Stahlproduktion sehr energieintensiv ist.“ Zusammenbau, Transport und Nutzung hingegen würden nur rund ein Drittel ausmachen.
Gesucht: Ein haltbarer, ressourcenschonender und kostengünstiger Stahl
Deshalb hat Kunert Anfang 2019 „VeraMAG“ gestartet: ein Forschungsprojekt, das die Ökobilanz von Pflügen verbessern soll, indem die Standzeit der Geräte verlängert wird. „Wir wollten einen Stahl finden, der härter und haltbarer ist“, sagt der 52-Jährige. Der Stahl solle zudem ressourcenschonend und kostengünstig hergestellt werden können.
Für ein solches Forschungsprojekt eignen sich laut Werkstoffexperte Kunert Bodenbearbeitungsgeräte besonders gut: „In der Branche ist der Hebel groß, um etwas zu bewegen. Einerseits werden viele Pflüge benötigt, andererseits ist die Produktionskette kurz.“ Mit an Bord des Projekts sind neben Kunerts Team deshalb nur der Stahlhersteller Dillinger (AG der Dillinger Hüttenwerke), der den innovativen Stahl herstellt, und die Firma BBG (Bodenbearbeitungsgeräte Leipzig GmbH & Co. KG), die ihn zu einem Prototypen verbaut. Noch in diesem Jahr soll der Pflug getestet werden.
Neun Abschlussarbeiten im Rahmen des Projekts
Wie bei allen Projekten in der Fördermaßnahme IngenieurNachwuchs spielte der wissenschaftliche Nachwuchs auch bei VeraMAG eine wichtige Rolle. „Wir haben versucht, viele Studierende einzubeziehen. Die Ergebnisse ihrer Arbeiten sind auch direkt ins Projekt eingeflossen. So ist eine tolle Gruppe entstanden, in der die Arbeit viel Spaß macht“, erzählt Kunert. „Trotzdem haben wir in unserem Fachbereich ein Nachwuchsproblem. Dabei wird in der Materialwissenschaft und Werkstofftechnik vom atomaren Maßstab bis zur Bauteilgröße alles geboten. Das Fach ist genau richtig, wenn man naturwissenschaftlich interessiert ist, sich thematisch aber noch nicht festlegen will – also bitte bewerben!“
Im Rahmen von VeraMAG sind insgesamt neun Abschlussarbeiten entstanden – auch die von Jerome Ingber. Der 26-Jährige ist seit Beginn Teil des Projekts und hat seinen Master in Werkstofftechnik über das „Legierungsdesign“ des gesuchten Stahls geschrieben.
VeraMAG war wie ein Trichter angelegt: Aus einer schier endlosen Zahl an Legierungsmöglichkeiten sollte der ideale Stahl für die Landwirtschaft gefunden werden. Er sollte verbesserte Verschleißeigenschaften haben, im Einsatz weniger Masse verlieren, härter sein und eine möglichst große Zähigkeit aufweisen. Dabei sollten alle Elemente, die während der Produktion zulegiert werden, leicht verfügbar und krisensicher sein. Trotz dieser Voraussetzung kamen noch immer zu viele „Rezepturen“ in Frage. Eine erste Eingrenzung bestand daher in folgender Überlegung: „Aus Vorversuchen wussten wir, dass bestimmte metastabil-austenitische Stähle gute Verschleißeigenschaften besitzen“, sagt Ingber.
Wirken mechanische Kräfte auf metastabil-austenitischen Stahl ein, wandelt sich der relativ weiche Austenit an der Oberfläche in harten Martensit um. Das Bauteil wird also erst im Einsatz härter und verschleißfester – im Gegensatz dazu wird konventioneller Stahl von Anfang an so hart wie möglich hergestellt. Erst wenn die „Phasenumwandlung“ des metastabil-austenitischen Stahls zum Martensit abgeschlossen ist, nimmt seine Verschleißbeständigkeit wieder ab. Solche Stähle werden auch TRIP-Stähle (transformation induced plasticity) genannt. Im Karosseriebau werden sie beispielsweise wegen ihrer guten Kombination aus Festigkeit und Umformbarkeit eingesetzt. Das Anforderungsprofil für Bodenbearbeitungsgeräte ist aber ein völlig anderes; hier sind Stähle mit TRIP-Effekt ein Novum.
Je zäher ein Stahl ist, desto mehr Energie kann er aufnehmen, bevor er bricht
Um den Trichter weiter zu verengen, hat Ingber unterschiedliche Legierungen am Computer modelliert. Er wollte herausfinden, welche Elemente in welcher Menge dem Ausgangsstahl beigeschmolzen werden können, um die gewünschten Eigenschaften zu erhalten. Der Stahl sollte nach Erhitzen im Hochofen und Abkühlen auf Raumtemperatur in seiner austenitischen Phase verbleiben und sich nicht in seine ferritische Phase zurückwandeln. Gleichzeitig sollte er sehr zäh sein.
Je zäher ein Stahl, desto mehr Energie kann er aufnehmen, bevor er spröde durchbricht. Zähigkeit heißt also, dass sich ein Riss nicht ausweitet und zum Bruch des ganzen Bauteils führt – eine wichtige Eigenschaft, wenn ständig Steine auf den Stahl treffen. „Die Zähigkeit konnten wir durch Zulegieren von Aluminium steigern“, erklärt Ingber. Die Herausforderung seiner Modellrechnungen lag darin, dass sich mit jedem Legierungszusatz die Temperatur verschob, mit der sich die Gitterstruktur des Stahls veränderte und dieser seine Phase wechselte. „Mit jedem Grad Celsius änderten sich die Verschleißeigenschaften des Endprodukts“, erklärt der 26-Jährige, „das war sehr komplex.“
Aber Ingber hat eine Reihe vielversprechender Legierungen gefunden, der Trichter verengte sich weiter: „Ich habe 15 bis 20 mögliche Stahlrezepte identifiziert, die in Rechnungen gut funktionierten. Die konnten wir in kleinen Mengen in unseren Versuchsschmelzen selbst herstellen“, sagt er, „und eine Reihe von Tests anstellen.“
Der Stahl für den ersten Prototyp ist fertig
Zuerst der Verschleiß: Das VeraMAG-Team bearbeitete die kleinen Stahlproben – die Platten maßen nur 15 mal 20 Millimeter – mit Schleifpapier, und zwar mit einer bestimmten Kraft und definierten Geschwindigkeit. Davor und danach wurden die Stahlproben gewogen, um zu schauen, wie viel Material das Schleifpapier abgetragen hat. Je leichter die Proben beim zweiten Wiegen waren, desto geringer die Verschleißfestigkeit des Stahls.
Zweite getestete Eigenschaft: Zähigkeit. Dazu mussten die Stahlproben durch den Kerbschlagbiegeversuch. „Salopp gesagt, schlägt ein großer Hammer mit großer Wucht auf unseren Probestahl“, sagt Professor Kunert. In dieser Versuchsanordnung hängt ein Gewicht an einem Pendel und wird fallengelassen. Am tiefsten Punkt trifft es auf die Stahlprobe und durchschlägt sie. „Je höher der Hammer auf der anderen Seite hochschwingt, desto weniger Energie wurde dabei verbraucht“, sagt Kunert. Gesucht wurde der Stahl, der dem Gewicht möglichst viel Schwung nahm.
Die zahlreichen Vorüberlegungen, Modellierungen, Stahlproben und Versuche mündeten schließlich im Ende des Trichters: Heraus kam ein hochkohlenstoffhaltiger Stahl, versetzt mit einigen Massenprozenten Aluminium, Silizium und Mangan. Er vereinte die besten Verschleißeigenschaften, den geringsten Masseverlust und die höchste Zähigkeit. Davon wurde in einer großtechnischen Umsetzung bereits Stahl für den Pflug-Prototyp gegossen.
Vom Labor auf den Acker
„Im Labor sind unsere Ergebnisse vielversprechend“, sagt Ingber: „Wir erreichen einen Verbesserungsfaktor beim Masseverlust von sechs.“ Das heißt: Der innovative Stahl ist sechsmal so verschleißfest wie konventioneller Stahl. Ließe sich das Ergebnis tatsächlich so auf den Acker übertragen, könnten Bodenbearbeitungsgeräte sechsmal länger genutzt werden – „was entsprechend viel Energie einsparen würde“, fügt Kunert hinzu. Beim Praxistest wird sich auch zeigen, ob die Zähigkeit der Stähle ausreichend ist, hier lagen die Laborwerte noch nicht ganz im erhofften Bereich.
VeraMAG läuft noch bis Ende des Jahres, im Spätsommer oder Herbst soll der letzte Meilenstein genommen werden: der Praxistest. In Sachsen-Anhalt unterhält Projektpartner BBG einen Acker, auf dem Innovationen unter realistischen Bedingungen getestet werden können. Dazu sagt Professor Kunert: „Wenn möglich, werden wir vor Ort sein und hoffentlich auf den Projekterfolg anstoßen. Sofern unser Stahl hält, was er verspricht.“