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Muuht zur Veränderung : Datum:

Klein und wendig: Jersey-Rinder könnten in Zukunft die schwarz-weißen Holsteins als häufigste Milchkuhrasse ablösen. Nicht nur sind sie ressourcenschonender in der Haltung, ihre Milch ist auch reicher an Inhaltsstoffen. Bislang ist jedoch wenig über diese Tiere bekannt. Das will ein Forschungsprojekt der Hochschule Neubrandenburg ändern.

Längst dreht sich in der Kuhhaltung nicht mehr alles um die Milchleistung. „Das ist Vergangenheit, heute liegt das Augenmerk viel mehr auf Wohlergehen und Gesundheit der Tiere. Allerdings ist da noch vieles unbekannt“, sagt Christian Looft.

Eine Jersey-Kuh steht vor einem Stallgitter und beißt in eine der Querstangen.
Schlechte Angewohnheit: Jerseys bekämpfen Frust, Stress oder Langeweile oft durch Stangenbeißen. © Quelle: Lianne Lavrijsen

Der 59-Jährige forscht schon lange an und mit Nutztieren, seit sechs Jahren lehrt er zudem als Professor für Tierzucht und Tierhaltung an der Hochschule Neubrandenburg. Er weiß um die blinden Flecken seiner Disziplin. 2019 hat er deshalb ein wegweisendes Forschungsprojekt gestartet: JerRi. Hinter dem Akronym verbirgt sich das Vorhaben, Jersey-Rinder besser zu verstehen. Welches Verhalten ist für die Rasse charakteristisch und wie könnte eine tiergerechte Haltungsform aussehen?

„Jerseys spielen in Deutschland als Milchviehrasse bislang kaum eine Rolle. Dabei enthält ihre Milch mehr Inhaltsstoffe“, sagt Looft. Das heißt: mehr Fett und Eiweiß als etwa die Milch der verbreiteten schwarz-weißen Holsteins. Für Landwirte sei das ein wichtiges wirtschaftliches Argument, weil sie die Milch teurer verkaufen könnten.

Und es gibt noch einen Vorteil: „Jerseys sind klein und leicht, sie müssen weniger Masse schleppen und benötigen deshalb weniger Energie. Ihre Haltung ist ressourcenschonender“, sagt Looft. Das geringe Gewicht, also der fehlende Fleischansatz, sei der Grund, wieso sich früher Deutsche Holsteins durchgesetzt hätten: „Bei den Schwarz-Weißen ist in der Zucht mehr Augenmerk auf das Gleichgewicht gelegt worden. Sie geben Milch, setzen aber auch Fleisch an, das verkauft werden kann.“

Sollten in Zukunft aber mehr ökologische und nachhaltige Aspekte in der Tierhaltung wichtiger werden – und davon ist laut Looft auszugehen – dürften Jerseys hierzulande sehr viel häufiger in Ställen und auf Weiden anzutreffen sein.

Forschung auf drei Betrieben in Deutschland und Dänemark

So früh wie möglich soll deshalb geklärt werden, wie eine tiergerechte Haltung der Rasse aussieht. Dazu untersucht das Projekt JerRi zwei Aspekte: Gesundheit und Ernährung. Kürzlich konnte das Team eine erste Publikation veröffentlichen, weitere durchlaufen aktuell das so genannte Peer-Review-Verfahren, bei dem sie von Kollegen und Kolleginnen aus der Fachcommunity begutachtet werden.

JerRi ist breit angelegt: In insgesamt drei Testbetrieben wurden über Monate hinweg Jerseys beobachtet. Der fortschrittlichste der Betriebe befindet sich dabei in Foulum in Dänemark. Dort hat Sandra Gündel das Fressverhalten der Tiere untersucht.

Rinderrassen: Jersey und Deutsche Holstein

Bei Jerseys handelt es sich laut Bundesinformationszentrum Landwirtschaft um eine „zartgliedrige Rinderrasse“. Ausgewachsen erreichen sie ein Gewicht von über 400 Kilogramm, was vergleichsweise klein und agil ist. Jerseys setzen weniger Fleisch an als Holsteins. Dafür erbringen sie bei Milch, Fett (5,4 Prozent) und Eiweiß (knapp 4 Prozent) im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht die höchsten Herdenleistungen aller Rinderrassen.

Bei den meist schwarz-weiß gefleckten Holsteins handelt es sich dagegen um eine große und schwere Rasse. Männliche Tiere können über eine Tonne wiegen. Deutsche Holsteins haben eine sehr hohe Milchleistung mit über 9.000 Litern pro Jahr. Die Inhaltsstoffe der Milch sind aber eher niedrig (rund 4 Prozent Fett und 3,4 Prozent Eiweiß).

Ihre ganze akademische Karriere hindurch befasst sich die 28-Jährige schon mit Tieren: „Meinen Bachelor habe ich über Melksysteme geschrieben, den Master über die Populationsgenomik von Hummeln. Dieses Projekt war der nächste logische Schritt für mich“, sagt sie. Weil sie gern im Ausland arbeiten wollte, übernahm sie den Projektteil in Foulum – im Danish Cattle Research Centre. Das ist ein hochtechnischer Versuchsstall der Universität Aarhus, in dem automatisch Daten zum Fressverhalten erhoben werden.

Die Tiere, die Gündel untersucht hat, leben dort ganzjährig im Laufstall ohne Weidezugang und tragen Sensoren an ihren Halsbändern. „Damit werden sie identifiziert, wenn sie an einen der Wiegetröge treten“, erklärt sie. Die Tröge zeichnen das Gewicht ihres Inhalts vor und nach jedem Besuch eines Tieres auf, ebenso wie die Fressdauer.

Je älter die Tiere, desto größer die Unterschiede zwischen Jerseys und Holstein

Gündel hat im Versuchsstall viele Gigabyte an Daten gesammelt: Tabellen, in denen das Fressverhalten von insgesamt 334 Tieren über Wochen hinweg erfasst wurde. Um einen Vergleich anzustellen, hat sie sich das Verhalten von 116 Jerseys und 218 Holsteins angeschaut.

Greift man eine zufällige Datenreihe aus diesem Fundus heraus, klingt das Erfasste zum Beispiel so: „Tier Nummer 7081 hat durchschnittlich 26,7 Mal am Tag den Fressplatz aufgesucht“, sagt Gündel. „Dabei fraß es im Mittel 78,7 Gramm pro Minute, insgesamt war es damit täglich 85,9 Minuten beschäftigt. Das ist allerdings kein guter Durchschnitt für eine Jersey“, erklärt sie und fügt hinzu: „Das könnte auf eine Krankheit hinweisen.“ Dazu später mehr.

Eigentlich sind Jerseys viel häufiger am Trog. Durchschnittlich 52 Besuche, sogenannte „feeder visits“, statteten sie den Trögen in Gündels Erhebung täglich ab – beinahe doppelt so viele wie Holsteins. Mit steigendem Alter nimmt der Unterschied zu. Aber: Jerseys fressen bei jedem Besuch deutlich kürzer.

„Jerseys sind praktisch den ganzen Tag zwischen Liege-, Sauf- und Fressplatz unterwegs und nutzen die gesamte Stallfläche aus“, sagt Gündel. „Die Ursachen könnten vielfältig sein: ein Rasseeffekt etwa, dass sich die Tiere von Natur aus mehr bewegen. Oder sie benötigen mehr Platz oder sind unterfordert. Das ist aber eine reine Interpretation der Daten.“

Auffälliges Verhalten: Stangenbeißen, Belecken und Wasserplatschen

In diese Richtung würden allerdings auch die Ergebnisse des zweiten JerRi-Projektteils passen: Dafür hat Susanne Demba Verhaltensbeobachtungen auf zwei Testbetrieben in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg durchgeführt. Die promovierte Agrarwissenschaftlerin wollte herausfinden, wie sich Jerseys verhalten, wenn sie Zugang zu einer Weide haben.

Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass die Rasse im Stall oft auffällt: „Das kann durch Zungenrollen sein, manche belecken sich gegenseitig oder lecken an Gegenständen, sie platschen im Trinkwasser oder beißen in das Gestänge von Stalleinrichtungen. Das habe ich auch alles gesehen“, sagt Demba, „glücklicherweise nichts Schlimmeres.“ In anderen Untersuchungen wurden auch schon Tiere beobachtet, die ihren Kopf gegen eine Wand schlugen oder sich aggressiv gegen andere Tiere richteten.

Demba identifizierte aus hunderten Tieren in den beiden konventionellen Betrieben 21 Kühe mit auffälligem Verhalten. Die beobachtete sie im Winter, als die Herden im Stall gehalten wurden, und im Sommer, als sie auf der Weide lebten. Jedes Tier nahm sie jeweils 15 Minuten unter die Lupe, die Zeitmessung begann ab der ersten Auffälligkeit. Sie protokollierte, welches Verhalten die Kühe in dieser Zeit zeigten und ob sie zwischendurch Pausen einlegten. Insgesamt führte sie die Beobachtungen acht Mal durch, davon vier Tage im Winter und vier Tage im Frühsommer.

Großer Unterschied zwischen Weide- und Stallhaltung

„Verhaltensauffälligkeiten haben meiner Beobachtung nach mit Frust und Langeweile zu tun. Wenn die Tiere nicht ans Futter kommen oder die Tränke besetzt ist oder der Lieblingsplatz. Dann habe ich Zungenrollen und Stangenbeißen gesehen“, sagt die 37-Jährige. Aber: Im Sommer zeigten die Tiere sehr viel kürzer und seltener auffälliges Verhalten. In einem Betrieb konnte sie bei acht von zehn Tieren im Sommer kein auffälliges Verhalten mehr beobachten.

„Ich hätte nicht erwartet, dass der Unterschied so extrem ist: Im Sommer ging das auffällige Verhalten um 46 Prozent zurück“, sagt Demba, die sich als einen sehr kuhaffinen Menschen bezeichnet. „Ganz verschwinden dürfte es aber nicht, weil die Tiere die Muster erlernt haben. Wie Nägelkauen beim Menschen.“ Das fange oft schon im Kälberalter an. Die Kühe lernen von klein auf, so Stress abzubauen.

Danish Cattle Research Centre

Das Danish Cattle Research Centre (DKC) ist ein hochtechnischer Versuchsstall im dänischen Foulum. Angeschlossen ist es ans Dänische Zentrum für Nahrungsmittel und Landwirtschaft der Universität Aarhus. Bei der Einrichtung handelt es sich um einen landwirtschaftlichen Betrieb, gleichzeitig wird die Haltung von Rindern erforscht. Dazu wurde der Stall entsprechend ausgestattet: Es gibt offene Gruppen-, geschützte Einzelräume und geschlossene „Klimakabinen“. Darin wird beispielsweise gemessen, welche Gase in welchen Mengen eine Kuh durch ihre Verdauung ausstößt. Alle Tiere tragen Sensoren, die sie identifizieren und ihre Bewegungsmuster aufzeichnen. Die Tiere fressen aus automatisierten Wiegetrögen, die Futtermenge und Futterzeit aufzeichnen. Dazu werden regelmäßig Gewicht, Milchleistung oder Inhaltsstoffe der Milch erhoben und analysiert.

Ihre Ergebnisse legen nahe: Weidegang ist für die Haltung von Jerseys vorteilhaft. „Aber das ist nicht für jeden Betrieb umsetzbar“, sagt Susanne Demba. „Ich denke, viel könnte kompensiert werden, wenn die Tiere im Stall immer Zugang zu frischem Futter haben. Ich habe noch nie so viel Futterfrust gesehen oder Rangkämpfe wie bei den Jerseys. Die sind temperamentvoll!“ Im Stall empfiehlt sie deshalb eine Haltung in kleinen Gruppen, damit auch rangniedere Tiere immer ans Futter kommen.

Nebenaspekt: Gesundheitsdaten könnten Prognosen ermöglichen

Noch bis Ende des Jahres läuft das Forschungsprojekt JerRi, so lange arbeiten die Beteiligten an weiteren Publikationen. Vielversprechend ist dabei ein Nebenaspekt, der erst später in den Daten aus Dänemark aufgefallen ist.

Christian Looft erklärt es so: „Wir haben in Foulum Fressverhalten und Bewegungsmuster analysiert. Im Versuchsstall wurde aber auch festgehalten, wenn die Kühe krank waren.“ Das sei wichtig gewesen, um später eine Begründung für fehlende Daten zu haben, denn an diesen Tagen waren die Kühe in medizinischer Behandlung und nicht im Stall. „Uns ist aufgefallen, dass sich die Lahmheiten, meist Erkrankungen der Klauen, angekündigt haben. Die Tiere bewegten sich Tage vorher schon weniger“, sagt Looft.

Aus dieser Beobachtung könnte, hofft der Professor für Tierhaltung und Tierzucht, eine Art Frühwarnsystem entstehen. Das stellt er sich so vor: Nimmt die Aktivität eines Tieres ab, meldet ein Computer die „Alarmkuh“, und ein Tierarzt könnte früh mit der Behandlung beginnen, sodass die Akutphasen nicht so schlimm ausfallen.

Wie viel ist uns Tierwohl wert?

„Vor 20 Jahren hat niemand über Tierwohl gesprochen“, sagt Looft, „heute sind wir da zwar weiter und haben auch mehr und mehr den ökologischen Aspekt der Landwirtschaft im Blick.“ Er bezweifelt aber, dass sich die vielen Erkenntnisse aus dem Projekt zeitnah in die Realität übersetzen lassen. „Die wenigsten Betriebe besitzen überhaupt noch ausreichend Fläche für einen Weidegang.“

Das liegt an den riesigen Herden, die eine Kostenregression möglich machen: wenige Mitarbeiter pro Tier, automatisierte Melksysteme, günstige Produktion. Wenn sich das etablierte System grundlegend ändern soll, geht das in Loofts Augen nur über Nachfrage: „Was ist die Gesellschaft bereit, für Tierwohl zu zahlen?“ Bei Befragungen würden alle ihr Kreuz immer an der richtigen Stelle machen, bei Bio, Weidegang, Tierwohl. Entscheidend sei aber die Abstimmung mit dem Geldbeutel: „Greifen Sie im Supermarkt zu den teuren Bioprodukten?“