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Virtuelle Windparks bauen Vorbehalte ab : Datum:

Windenergieanlagen sind ein wichtiger Bestandteil des Ziels, langfristig auf regenerative Energien umzusteigen. Doch neben vielen Vorteilen gibt es auch skeptische Töne seitens der Bevölkerung, wenn zum Beispiel eine Windenergieanlage in unmittelbarer Nähe gebaut werden soll. Müsste es nicht also eine Möglichkeit geben, Windenergieanlagen frühzeitig erfahrbar zu machen, bevor sie gebaut werden? Dieser Frage geht die Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg im Projekt X-Eptance-Explore nach.

Die grundsätzliche Überlegung dieses Projekts setzt schon bei der Prävention von möglichen Vorurteilen und Widerständen gegenüber Windenergieanlagen an. Angenommen, in der Nähe von Hamburg soll ein Windpark errichtet werden: Dann fänden sich sicher Bürgerinnen und Bürger, die diesem Vorschlag skeptisch gegenüberstehen, da sie Lärmbelästigungen oder Eingriffe in das Landschaftsbild befürchten.

Am linken Bildrand steht ein Mann mit VR-Brille und Steuerkonsole in der rechten Hand; er blickt auf Felder, Bäume und Windräder.
Neue Perspektive: So sehen Nutzer den virtuellen Windpark durch die VR-Brille. (Fotomontage) © Iwer Petersen / Birgit Wendholt, Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW)

Dieses Phänomen trägt den passenden Namen „not in my backyard“, zu Deutsch „nicht in meinem Garten“. Genau hier setzt das Projekt X-Eptance-Explore an, das eine 3D-Visualisierung und Auralisierung von Windenergieanlagen ermöglicht. Auralisierung ist ein Verfahren, um akustische Situationen künstlich hörbar zu machen.

X-Eptance-Explore simuliert anhand von Virtual Reality (VR) und im weiteren Schritt auch anhand von Augmented Reality (AR) die realistische Landschaft, in der die Windenergieanlage zukünftig gebaut werden soll. So werde mittels georeferenzierter Daten und einem dreidimensionalen Schallfeld ein ganzheitliches, wirklichkeitsgetreues Abbild einer Umgebung erzeugt, das erfahrbar für die Bürgerinnen und Bürger sei, erklärt Projektmitarbeiter Iwer Petersen vom Competence Center für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (CC4E) der HAW Hamburg.

Im Idealfall soll dabei das Gefühl entstehen, man sei real vor Ort, obwohl man in Wirklichkeit in einem anderen Raum steht. Anhand einer Game-Engine, also einem Entwicklungsprogramm, das mit Daten von Open Street Maps und anderen Quellen gefüttert wurde, wird ein einheitliches umfängliches Bild der Umgebung generiert.

Die richtige Akustik für jede Wetterlage

Kritische Stimmen behaupten, dass es schwierig sei, alle Parameter einer Windenergieanlage und der umliegenden Landschaft zu erfassen und vor allem wiedergeben zu können. Außerdem hört sich eine Windanlage doch bestimmt anders an, wenn es regnet oder man genau in der Windrichtung steht? Die HAW hat sich auch mit diesen Hindernissen auseinandergesetzt und eine ganze Reihe akustisch relevanter Parameter erfasst.

Unter anderem wird der Sonnenstand, die Luftfeuchtigkeit, die Windstärke, der Luftdruck, die Temperatur und der Abstand zur Windenergieanlage berücksichtigt. „Wir wollen so eine möglichst realistische Akustik erzeugen“, so die Projektleiterin Prof. Dr. Birgit Wendholt. Darüber hinaus können die Forscherinnen und Forscher in einem Radius von zwei Kilometern Umgebungsgeräusche anhand von Pflanzen, Bäumen oder Straßen erzeugen.

Virtual Reality

Virtual Reality oder „virtuelle Realität“ meint eine digitale, künstliche Welt, die man nur mithilfe von spezieller Soft- und Hardware erleben kann. Eine solche virtuelle Welt beruht auf Technologien zur Erzeugung von 3D-Grafiken und Multisensor-Interaktionstechnologien. Über eine VR-Brille mit hochauflösendem Display wird dem Nutzer mittels 360-Grad- oder 3D-Inhalten und auditiven Elementen ein vollkommenes Abtauchen in die virtuelle Umgebung ermöglicht.

Alle diese Parameter können dazu führen, dass sich die Geräuschkulisse verändert und das Drehen der Rotoren einer Windanlage anders wahrgenommen wird. Somit entsteht je nach Umgebung immer wieder ein anderes Geräusch. Das Projekt X-Eptance-Explore setzt in diesem Punkt auf eine Systematisierung und versucht, Geräusche und Schallausbreitungseffekte allgemein zu erfassen, zu kategorisieren und somit einzelnen Quellen zuzuordnen. Töne lassen sich daraufhin übereinanderlegen, so dass ein Geräuschbild unter Berücksichtigung verschiedener Einflüsse entsteht.

Virtuelle Windparks sollen an jedem beliebigen Ort entstehen können

„Unser Ziel war es, anhand der Erkenntnisse ein dreidimensionales Schallfeld zu erzeugen, in dem sich Nutzerinnen und Nutzer in der virtuellen Realität frei bewegen können, um den virtuellen Windpark von beliebigen Standorten aus zu beurteilen“, so die Projektleiterin. Entscheidend für das Gelingen dieses Projekts ist auch die technische Ausstattung. Neben dem Virtual Reality Equipment kommt eine moderne räumliche Audio-Engine zum Einsatz, in der Schallquellen und akustische Ausbreitungseffekte anhand der analytisch gewonnenen Parameter modelliert werden. Das langfristige Ziel des Projekts ist, die Verfahren und Erkenntnisse so weit zu automatisieren, dass ein virtueller Windpark an jedem beliebigen Ort erstellt werden kann.

Doch wie es oft in der Forschung der Fall ist, haben auch hier nicht vorhersehbare Entwicklungen das Vorhaben verlangsamt und verändert. Ursprünglich wollte das Projektteam die Windenergieanlagen nicht nur durch Virtual Reality (VR) erfahrbar machen, sondern dieses Erlebnis auch mittels Augmented Reality (AR) ermöglichen. Der Vorteil von AR besteht darin, dass die Realität nicht ersetzt, sondern erweitert wird. Menschen können sich frei im Raum bewegen und Gegenstände anfassen.

Diese Form der Darstellung benötigt jedoch eine überzeugende Mischung von virtuellen Inhalten mit der realen Welt. Das funktioniert für visuelle Wahrnehmungen inzwischen gut, für akustische allerdings erst rudimentär. Da es im Projekt technische und systemische Differenzen gab und Kopfhörer zum Mischen von virtuellen und realen Geräuschen noch in den Kinderschuhen stecken, musste dieser Schritt erst einmal auf Eis gelegt werden. Stattdessen konnte das Team jedoch die Projektlaufzeit nutzen, um die VR-Technik weiter zu perfektionieren

Besserer Zugang für alle als langfristiges Ziel

Im Vorgängerprojekt X-Eptance-Impulse wurden bereits grundlegende Daten und Videoaufnahmen im 360-Grad-Format erstellt, die als Basis für die VR-Variante dienten und stetig verbessert werden konnten. Grundlage aller Messungen war der Windpark Curslack in Hamburg, wo im Projektverlauf zahlreiche Kalibrierungs- und Validierungstests durchgeführt wurden.

So wurden zu Beginn auch sogenannte Soundwalks initiiert, bei denen Probandinnen und Probanden eine festgelegte Strecke ablaufen und sich einen Eindruck zur Sammlung der verschiedenen Geräusche verschaffen konnten. Diese Geräuschkulisse wurde zusätzlich aufgenommen und später interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern mit Kopfhörern vorgespielt, um mögliche Differenzen aufzuzeigen und die Technik zu verbessern. So konnte das Team sicherstellen, dass die Geräusche möglichst wirklichkeitsgetreu rekonstruiert wurden. Das fertige System lässt sowohl visuell als auch hörbar eine Windenergieanlage in einer bestehenden Landschaft entstehen, die damit möglichst realistisch erlebbar wird.

Im Folgeprojekt Open Citizen Soundwalks (OCSW) beschäftigt sich das Team nun mit der Frage, wie der virtuelle Windpark zugänglicher gemacht werden kann, da bislang nur wenige Menschen Zugang zur benötigten VR-Hardware haben. Des Weiteren versucht die HAW, den Prozess zur Erstellung eines virtuellen audiovisuellen Windparks zu automatisieren, um geplante Windparks bald direkt „in my backyard“ präsentieren zu können.