Das Haus als Rohstoffquelle : Datum:
Im Projekt Rural Mining geht die Hochschule für angewandte Wissenschaften München der Frage nach, ob und wie gut sich Wohnhäuser zurückbauen, wiederverwenden und recyceln lassen. Als Untersuchungsobjekt dienen Fertighäuser in Holzbauweise, da sich diese mit wenig Aufwand ab- und wieder aufbauen lassen.
Häuser sind zwar recht langlebige Produkte, aber auch sie erreichen irgendwann das Ende ihrer Nutzungsdauer. Beim Abbruch oder Rückbau werden zahlreiche Rohstoffe frei, die man wiederverwerten könnte. Dies ist sogar gesetzlich vorgeschrieben, doch in der Praxis wird das Potenzial kaum genutzt. Hinzu kommt, dass viele Baumaterialien nahezu untrennbar miteinander verbunden sind, etwa Wärmedämmverbundsysteme oder Farben auf Tapeten, die auf Wänden kleben. Daraus ergibt sich ein teurer und wenig nachhaltiger Umgang mit Ressourcen.
Um herauszufinden, ob sich Häuser nicht auch effizienter verwerten lassen, hat ein Team der Hochschule München unter der Leitung von Prof. Dr.-Ing. Natalie Essig und Prof. Dr.-Ing. Andrea Kustermann das Projekt Rural Mining ins Leben gerufen. „Wir wollten wissen, ob sich viele Baustoffe nicht im Sinne einer echten Kreislaufwirtschaft wiederverwenden oder auf dem gleichen Qualitätsniveau wiederverwerten lassen“, beschreibt Sara Lindner die Idee hinter dem Projekt. Wiederaufbauen statt wegwerfen – der Gedanke ist in der Baubranche noch nicht sehr weit verbreitet. Eigentlich müsse das Recycling eines Hauses aber schon bei der Planung mitgedacht werden, findet Lindner.
Die junge Architektin hat das Vorhaben betreut und in den vergangenen drei Jahren mehrere Fertighäuser bei ihrem Umzug an einen anderen Standort begleitet. Was für die meisten Massivbauten undenkbar ist, lässt sich mit Holzfertighäusern recht leicht bewerkstelligen: Kunden kaufen zu günstigen Konditionen ein Ausstellungshaus aus der Ausstellung eines Herstellers, lassen es demontieren und bauen es an ihrem Wohnort wieder auf. Diesen Umstand hat sich das Team zunutze gemacht und während der Abbauphase genau analysiert, wie viele Teile und Rohstoffe für den Wiederaufbau erhalten bleiben konnten.
Selbst Holzfertighäuser können nicht vollständig wiederverwendet werden
Auf dem deutschen Markt für Ein- und Zweifamilienhäuser haben Fertighäuser inzwischen einen Anteil von 23 Prozent. Sie sind also fest etabliert, aber im Vergleich zur konventionellen Bauweise noch immer in der Unterzahl. Die Ergebnisse des Projekts Rural Mining, das sich erst einmal nur auf Fertighäuser in Holzbauweise konzentriert, werden deshalb nicht gleich die ganze Baubranche revolutionieren. Sie belegen aber eindrücklich, wie viel Verbesserungspotenzial es bei diesem Thema gibt: Selbst Gebäude aus vorgefertigten Elementen hinterlassen beim Abbau nämlich noch viele Materialien, die beim Wiederaufbau nicht mehr genutzt werden.
„Am besten lassen sich die ganzen Holzfertigbauteile wiederverwenden, also zum Beispiel Dach-, Wand- und Deckenelemente“, erklärt Lindner. „Schwieriger wird es aber bei den so genannten Deckschichten: Gipskartonverkleidungen und Bodenbeläge zum Beispiel lassen sich oft nur entfernen, indem man sie zerstört, um an die Verschraubungen der Bauteile zu gelangen.“ Und bei der Bodenplatte ist dann endgültig Schluss mit der Wiederverwendung: Die massive Betonschicht kann nur durch Abbruch entfernt werden und wird anschließend oft nur noch als Füllmaterial für den Straßenbau genutzt.
Ein Leitfaden für Hersteller und Subunternehmer
Neben einer detaillierten Auflistung, welches Material sich wie gut beim Aufbau wiederverwenden lässt, hat das Projektteam auch Proben von Holzfertighäusern im Labor untersucht. Dabei wurden verschiedene Werkzeuge getestet, teils sogar Eigenbauten oder Spezialwerkzeuge der Hersteller. „Auseinandergebaut bekommt man eigentlich fast alles“, fasst Lindner die Ergebnisse dieser Arbeiten zusammen. „Die Frage ist nur, ob sich der Aufwand lohnt. Natürlich kann man jeden einzelnen Nagel ziehen und auch noch die letzte Klammer aufspüren und entfernen. Aber für eine allgemeine Handreichung zum Ab- und Aufbau eines Hauses ist ein so detailliertes Vorgehen dann wohl doch zu aufwändig.“
Die Schritte, die sich tatsächlich mit vertretbarem Aufwand durchführen lassen, fasst das Team derzeit in einem Leitfaden zusammen, der vor allem den Herstellerfirmen und den von ihnen beauftragten Handwerksbetrieben als Handlungshilfe dienen soll. Er kann aber auch bei den eigentlichen Käuferinnen und Käufern das Bewusstsein dafür schärfen, wie viele wiederverwertbare Rohstoffe eigentlich in ihrem Haus stecken.
Das Problem ist: Wer ein Haus kauft oder baut, will nicht gleich darüber nachdenken, wie es sich am besten wieder abbauen lässt. „Zudem wird beim Hausbau zwar mittlerweile der Energieverbrauch während der Nutzung mitgedacht, aber noch nicht der Ressourcenverbrauch beim Bau oder beim Rückbau“, sagt Lindner. Dabei kann sich ein selektiver Rückbau durchaus rentieren, allein schon wegen hoher Entsorgungskosten für Baumischabfälle. Und wer ein Fertighaus kauft und woanders wieder aufbauen lässt, spart bei sorgfältigem Abbau auch Materialkosten. Das seien eine Menge Anreize zusätzlich zur ökologischen Perspektive, findet die Architektin.
Nachhaltigkeit im Bausektor wird immer mehr zum Thema
Dass künftig überall im Land Fertighäuser ab- und wiederaufgebaut werden, glaubt allerdings auch Lindner nicht. „Das ist schon eher ein Nischengeschehen“, sagt sie. „Aber es rückt das Thema Nachhaltigkeit im Baubereich ins Blickfeld, und auf diesem Gebiet tut sich tatsächlich etwas: Zum Beispiel gibt es immer mehr Bauteilbörsen für gebrauchte Baustoffe.“ In den Niederlanden etwa hat sich bereits vor einigen Jahren das Konzept der „HarvestMaps“ etabliert, auf denen gebrauchte Bauteile angeboten werden.
Es bewegt sich also etwas, gerade auch im Bausektor, der wegen seines massiven Betonverbrauchs zu den größten CO2-Produzenten gehört. Lindner, die sich schon seit Jahren mit verschiedenen Nachhaltigkeitsaspekten im Bauwesen befasst und unter anderem auch am „Bewertungssystem nachhaltiger Kleinwohnhausbau“ mitgearbeitet hat, denkt bereits über die Holzfertigbauhäuser hinaus: Lassen sich ähnliche Ideen und Konzepte auch für den Massivbau umsetzen? Wie kann man Wände aus Steinen und Mörtel besser wiederverwerten? Gibt es Alternativen zu Klebstoffen und Kleistern, so dass man Komponenten später leichter voneinander trennen kann?
Ihre Studienobjekte im Projekt Rural Mining – die Häuser, deren Umzug sie in den vergangenen Jahren so akribisch begleitet hat – wurden derweil alle wieder an ihrem neuen Standort aufgebaut: manche exakt so, wie sie in der Ausstellung des Herstellers standen, und zum Teil sogar mitsamt Möbeln. Ihre neuen Besitzer können wohl für sich in Anspruch nehmen, eine der höchsten Wiederverwendungsquoten im Bereich der Ein- und Zweifamilienhäuser erreicht zu haben.