Der Melone unter die Schale schauen : Datum:
Nicht allen Obst- und Gemüsesorten sieht man von außen an, ob sie reif, überreif oder sogar schon ungenießbar sind. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes entwickelt deshalb ein KI-basiertes Messystem, mit dem sich zum Beispiel Melonen leicht untersuchen lassen und das später auch für andere Lebensmittel optimiert werden kann. So könnte die Verschwendung von Lebensmitteln reduziert werden.
Melonen sind die Geheimniskrämer unter den Obstsorten: Unter ihrer dicken, festen Schale kann ein saftiges und süßes Fruchtfleisch stecken – oder fauliger Matsch. Um solche unangenehmen Überraschungen möglichst zu vermeiden, klopfen nicht nur Supermarktkunden die Früchte vor dem Kauf ab. Auch die gängige Qualitätskontrolle von Erzeugern und Händlern verlässt sich bisher meist auf eine händische Klopfprüfung, ergänzt durch vereinzelte Stichproben.
Professor Ahmad Osman von der Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) hat so seine Erfahrungen mit fauligen Melonen gemacht und findet, dass es einen besseren Weg für die Qualitätssicherung geben muss. Im Projekt ki-UltraHaltbarkeit tüftelt sein Team aus jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern deshalb an einem Handgerät, mit dem die Früchte schnell und berührungsfrei gescannt werden können.
Osman ist eigentlich kein Lebensmittelexperte, sondern Spezialist für Messtechniken und Künstliche Intelligenz, aber dieses Projekt liegt ihm spürbar am Herzen. Er betrachtet es als Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung: Laut Schätzungen aus dem Jahr 2019 werden allein in Deutschland jedes Jahr 18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, weltweit sind es sogar 1,3 Milliarden Tonnen. Die Hälfte davon könnte durch bessere Planung und Lagerung gerettet werden. Und ein gutes Drittel aller vermeidbaren Abfälle sind Obst und Gemüse, sie werden fast zehnmal so oft weggeworfen wie Fleisch oder Fisch. „Könnte man den Reifegrad von Obst und Gemüse sicher bestimmen, ließe sich sehr viel Müll vermeiden“, meint Osman deshalb.
Theoretisch kann so ein Reifegrad-Scanner natürlich an jeder beliebigen Frucht entwickelt werden, aber das Projektteam hat sich aus mehreren Gründen für Melonen entschieden. Zum einen sei die Melone ein vergleichsweise teures Produkt, bei dem der Käufer eine entsprechende Qualität erwarte, sagt der Projektleiter. Zum anderen sei die Qualitätskontrolle hier aber auch anspruchsvoller als etwa bei Tomaten, denen man matschige und faule Stellen direkt ansehe. Und wenn man mit dem komplexeren Problem anfängt, so die Überlegung, dann lässt sich die Lösung später leicht auf weniger komplexe Probleme übertragen.
Messungen intelligent auswerten und deuten
Kontaktlose und zerstörungsfreie Messtechniken für das Vorhaben stehen dem Projektteam massenhaft zur Verfügung: Von Thermografie über Röntgen und Spektroskopie bis hin zu Schall und Ultraschall haben sie in einer Machbarkeitsstudie erst einmal alles ausprobiert. Für die Melonen hat sich das Team inzwischen auf ein akustisches Verfahren festgelegt, das mit Frequenzen im hörbaren Bereich arbeitet. Die Melonen werden also sozusagen beschallt, und die reflektierten Schallwellen werden von einem Sensor erfasst.
Viel wichtiger als die passende Messtechnik sei aber ohnehin die Auswertung der Sensordaten, sagt Osman: „Gut 80 Prozent unserer Lösung ist die Künstliche Intelligenz, die diese Auswertung übernimmt.“ Das System soll schließlich nicht nur stumpf messen und dann schwer interpretierbare Rohdaten auswerfen, sondern die Messungen auch gleich einordnen und deuten.
Die Person, die das Gerät bedient, wird dann eine möglichst einfache und klare Aussage zum Zustand der geprüften Melone erhalten: unreif, reif, überreif, verdorben. Dabei soll die KI sogar die unterschiedlichen Vorlieben in verschiedenen Ländern berücksichtigen können, denn eine Melone, die in Deutschland schon als reif bezeichnet wird, geht in anderen Weltregionen gerade eben als essbar durch. „Eine gute KI muss auch menschliche Erfahrungen berücksichtigen“, findet Osman.
Im ersten Projektjahr war das Team vor allem damit beschäftigt, genug Daten für die KI zu sammeln: Die Ergebnisse der akustischen Messungen wurden mit klassischen Analysen abgeglichen, etwa zum Wasser- und Zuckergehalt der Melonen, um einen Zusammenhang zwischen den Messwerten und dem tatsächlichen Zustand der Melone herzustellen. „Diese Phase haben wir inzwischen abgeschlossen, die Datenbank für das Training der KI ist fertig“, berichtet Osman.
Derzeit steht der Bau des ersten Prototyps im Vordergrund der Arbeiten. Da die Hardwareanforderungen für Deep-Learning-Algorithmen hoch sind, wird der erste Entwurf des Geräts wohl noch nicht ganz so kompakt wie gewünscht – die Optimierung der KI ist jetzt erst einmal wichtiger als die Optimierung des Geräts. Portabel werde der Prototyp aber auf jeden Fall schon sein, so Osman, ungefähr so wie eine Supermarktwaage. Später soll er dann auf ein Handgerät verkleinert werden, das man nur noch kurz an die Melone halten muss.
Künstliche Intelligenz: Zwischen Skepsis und überzogenen Erwartungen
Außerdem ist das Team bereits dabei, den Reifegradsensor auch an anderen Objekten zu testen: Mit Äpfeln funktioniert er schon, auf der Liste für die nähere Zukunft stehen nun weitere Früchte wie Erdbeeren oder Mangos. An Fleisch und weitere komplexe Lebensmittel will Osman sich erst später herantasten; dafür brauche man womöglich auch ganz andere Messtechniken, weil die molekularen Verderbnisprozesse sehr unterschiedlich sein können, erklärt er.
Nachdem die Technik im Labor schon mit hoher Genauigkeit funktioniert, soll das System bald auch bei den Projektpartnern getestet und optimiert werden. Erst in den letzten Jahren hat KI-Experte Osman beobachtet, dass die Vorbehalte gegen den Einsatz Künstlicher Intelligenz bei potenziellen Kooperationspartnern langsam schwinden. „In vielen Unternehmen gibt es immer noch große Skepsis, vor allem in den Führungsetagen“, berichtet er.
Andererseits sind die Erwartungen riesig: Einer der Projektpartner wünscht sich bereits weitere Funktionen wie die Möglichkeit, auch die Kerne in der Melone zu zählen. „Das können wir aber noch nicht“, dämpft Osman diese Hoffnung. An Ideen mangelt es ihm und seinem Team allerdings nicht: Von Augmented Reality bis VR-Brille können sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch viele nützliche Weiterentwicklungen ihres Reifegradscanners vorstellen.
Erst einmal wollen sie aber naheliegendere Dinge klären: „Vielleicht lässt sich unser System sich sogar an die bestehenden Warensysteme der Partner koppeln“, meint Osman. „Dann könnten die Händler auch quantitativ verfolgen, von welchem Lieferanten sie welche Qualität bekommen.“