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Die Hochschule Trier entwickelt im Projekt VITASENS einen Sensor, der Senioren in ihrem Zuhause überwacht und Alarm schlägt, wenn sie plötzlich stürzen oder Herzschlag und Atmung aussetzen. Anders als viele herkömmliche Systeme muss der Sensor weder am Körper getragen werden, noch macht er Bilder von den Räumen und den Menschen darin, so dass die Intimsphäre der überwachten Personen geschützt und der Datenschutz gewährleistet wird.
Mit zunehmendem Alter wird es immer schwieriger, die richtige Balance zwischen selbstbestimmtem Leben und dem Bedürfnis nach Sicherheit und Unterstützung zu finden: Ältere Menschen stürzen zum Beispiel häufiger oder geraten in lebensbedrohliche Situationen, weil Herz oder Atmung aussetzen.
Der Markt bietet daher eine Vielzahl an Schutz- und Überwachungssystemen für diese Zielgruppe, die jedoch alle gewisse Einschränkungen haben: Am Körper getragene Systeme wie Armbänder können leicht abgenommen werden und wirken zudem oft stigmatisierend, da sie ihre Träger sofort als „hilfsbedürftig“ ausweisen. Im Wohnraum montierte Überwachungstechnik wiederum erzeugt in der Regel Bilder, die empfindlich in die Privat- und Intimsphäre der Bewohner eingreifen können und so die Akzeptanz einschränken.
Prof. Dr. Andreas Diewald, Radartechnologe an der Hochschule Trier, entwickelt deshalb im Projekt VITASENS ein System, das seinen Nutzerinnen und Nutzern zugleich Sicherheit geben und ihre Würde bewahren soll. Kern des Projekts ist ein Sensor auf Radarbasis, der unauffällig an der Zimmerdecke angebracht wird und von dort aus sowohl Herzschlag und Atemfrequenz überwachen als auch plötzliche Stürze erkennen kann. Der Clou dabei: Der Sensor macht keine echten Bilder von den Personen im Raum. „Menschen werden von dem Gerät eher als Energiewolke dargestellt, es sind nicht einmal Arme und Beine zu erkennen“, erklärt der Projektleiter. „Damit kann der Sensor sogar in intimen Wohnbereichen wie Badezimmer und Toilette angebracht werden, ohne die Privatsphäre zu verletzen.“
Moderne kleine Radargeräte ermöglichen neue Anwendungen
Möglich macht das der enorme technische Fortschritt im Bereich der Radartechnik. Seit etwa einem Jahrzehnt gibt es immer mehr kleine, strahlungsarme und dennoch leistungsfähige Geräte, die gefahrlos auch in der Nähe von Menschen betrieben werden können. Radarsensoren erkennen winzigste Bewegungen, zum Beispiel den Pulsschlag unter der Haut oder das Heben und Senken des Brustkorbs – und zwar völlig unabhängig von Licht, Kleidung oder Bettwäsche. Inzwischen werden radarbasierte Sensoren auch zur Überwachung frühgeborener Babys entwickelt, oder als Alarmsensor, der auf im Auto vergessene Kinder aufmerksam macht. Diewald hat bereits an solchen Entwicklungen mitgearbeitet und sich dann der Frage zugewandt, wo ein solches Gerät noch hilfreich sein könnte. „Da mehrere Mitglieder meiner Familie in der Altenpflege arbeiten, lag die Anwendung in diesem Bereich für mich nahe“, erzählt der Wissenschaftler.
Der Fokus im Projekt VITASENS liegt zunächst auf Altenheimen und Senioren-Wohnanlagen. Sinnvoll seien die Geräte dort vor allem für Bewohnerinnen und Bewohner, die noch nicht sehr hilfsbedürftig sind, erläutert Diewald: „Diese autarken und fitten Personen haben weniger Pflegebedarf und stehen deshalb nicht so sehr unter Aufsicht, aber passieren kann ihnen ja trotzdem jederzeit etwas.“ Dabei geht es nicht darum, permanent Gesundheitsdaten zu überwachen, betont der Projektleiter: „Unser Sensor macht keine Diagnostik, sondern schaut nur, ob Herzschlag und Atmung noch da sind oder nicht.“ Fallen diese Vitaldaten aus, schlägt das Gerät Alarm – schließlich sei man nicht sofort tot, wenn Herz und Atmung mal aussetzen, so Diewald. Wichtig sei aber, dass man in so einem Fall schnell Hilfe bekommt.
Der Sensor schützt Bewohner und entlastet das Personal
In Pflege- und Wohnheimen soll der Radarsensor eine Doppelfunktion erfüllen: Er schützt Bewohnerinnen und Bewohner davor, in gefährlichen Situationen allein zu bleiben – und er entlastet das Personal. Die Pflegekräfte müssen sich ohnehin auf die stark pflegebedürftigen Personen konzentrieren, doch der Sensor bewahrt sie davor, lebensbedrohliche Lagen bei fitteren Bewohnern zu übersehen. „Das Gerät ist ganz klar als Ergänzung und Unterstützung gedacht, nicht als Möglichkeit, die Zahl der Pflegekräfte weiter zu reduzieren“, so Diewald.
Diewald und sein Team haben die ersten anderthalb Jahre des Projekts darauf verwendet, den Sensor zu bauen: Die richtige Kombination aus einem dediziertem Chipsatz und speziell entwickelten Antennen sorgt für eine optimale Raumausleuchtung. Auch die Signalauswertung hat das Team von Grund auf selbst entwickelt. Als es dann allerdings darum ging, das Gerät direkt vor Ort zu testen, in einer vom Projektpartner Pflegeheim Holunderbusch GmbH betriebenen Pflegeeinrichtung, machte Corona ihnen einen Strich durch die Rechnung: „Mit den Messungen vor Ort wollten wir im Februar 2021 beginnen“, berichtet Diewald. „Aufgrund der Pandemie konnten wir diesen Teil der Arbeiten aber natürlich noch nicht durchführen.“
Zu den Vor-Ort-Tests gehört nicht nur die Funktion des Sensors – die kann man schließlich auch unter Laborbedingungen mit Probanden testen – sondern vor allem um die Akzeptanz des Systems durch die Heimbewohnerinnen und -bewohner. Geplant sind deshalb auch umfassende Befragungen der Testpersonen. Um diesen wichtigen Teil des Projekts noch durchführen zu können, wird das Vorhaben wohl bis zum Jahresende verlängert.
Vom technischen Fortschritt überholt
Von den Folgen der Pandemie abgesehen, hat Diewald den Projektverlauf als weitgehend problemlos wahrgenommen – mit einem Wermutstropfen: Wie es gelegentlich geschieht in der Wissenschaft, wurde das Team vom technischen Fortschritt überholt. „Während wir unsere Antennenarrays noch mühsam selbst gebaut haben, sind plötzlich fertige Bausätze zu günstigen Preisen auf den Markt gekommen“, erzählt Diewald. Das sei für ihn natürlich erst einmal ärgerlich gewesen, aber: „Aus wissenschaftlicher Sicht war unsere Entwicklung natürlich trotzdem ein Erfolg, auch wenn sie jetzt vermutlich in der Schublade landet. Schließlich konnten wir aus dieser Arbeit eine Menge neuer Erkenntnisse mitnehmen.“
Bis der Radarsensor für die Raumüberwachung kommerziell erhältlich ist, wird es ohnehin noch ein weiter Weg. In der verbleibenden Projektlaufzeit will das Team zunächst die Signalverarbeitung optimieren, dann soll der Sensor gemeinsam mit Partnerunternehmen weiter in Richtung Anwendung entwickelt werden. Auf dem Weg zur Serienreife sind auch noch einige Fragen zu beantworten: Wie kann das Gerät gegen Ausfälle der Strom- und Internetversorgung gesichert werden? Soll es auch künftig die „Energiewolken“ der überwachten Personen übermitteln, oder reicht es, die Ausgabe auf ein einfaches Ampelsystem umzustellen? Und wenn der Sensor nicht nur in betreuten Wohnanlagen eingesetzt werden soll, sondern auch in Privatwohnungen: Wie gestaltet man die Benachrichtigungs- und Rettungskette?
All diese Fragen wird sich Projektleiter Diewald vermutlich nicht mehr selber stellen. Er wendet sich gedanklich bereits verschiedenen Folgeprojekten zu: Kann der Radarsensor auch für Epilepsie-Patienten eine Hilfe sein? Braucht ihn die Industrie vielleicht für die Umfelderkennung an Maschinen? Und könnte man ihn in autonomen Fahrzeugen einsetzen, um die Vitalfunktionen des Fahrers zu überwachen? Ideen hat Andreas Diewald jedenfalls genug – die Umsetzung in ein serienreifes Produkt liegt dann aber meist nicht mehr in seinen Händen.