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Mit einem kontaktlosen Überwachungssystem will die TH Nürnberg Frühgeborenen den schweren Start ins Leben erleichtern. Das Team um Projektleiterin Prof. Dr. Christine Niebler und Doktorandin Johanna Gleichauf entwickelt im Projekt NeoWatch eine ausgefeilte Sensortechnik, die ohne Berührung die wichtigsten Vitalparameter des Kindes überwachen kann.

Eine winzige Handvoll Leben, angeschlossen an Schläuche und Kabel: Babys, die viel zu früh und mit einem Gewicht von unter 1500 Gramm zur Welt kommen, verbringen ihre ersten Lebenswochen auf einer neonatologischen Intensivstation im Inkubator, unter ständiger medizinischer Überwachung. Ihre Organe sind noch nicht fertig ausgebildet, deshalb haben sie oft Probleme mit der Atmung, der Verdauung oder dem Stoffwechsel. Und sie sind sehr anfällig für Infektionen, weil ihr Immunsystem noch nicht gut funktioniert.

Eine junge Wissenschaftlerin steht neben einem Inkubator für Frühgeborene
NeoWatch - Kontaktloses Monitoring-System für Frühgeborene auf der neonatologischen Intensivstation © Johanna Gleichauf, Technische Hochschule Georg Simon Ohm

Johanna Gleichauf, Doktorandin an der TH Nürnberg, hat sich vorgenommen, solchen Frühchen den Start ins Leben zu erleichtern und einige der medizinischen Überwachungssysteme durch kontaktlose Varianten zu ersetzen. Denn die Technik kann zwar durchaus Leben retten, sorgt aber auch für Probleme: Schläuche können Druckstellen verursachen, EKG-Klebelektroden die empfindliche Babyhaut schädigen, und das Säubern, Wickeln und Anziehen der verkabelten Winzlinge ist kompliziert und zeitraubend.

Um den Rahmen des Projekts und ihrer Doktorarbeit nicht zu sprengen, konzentriert sich die junge Wissenschaftlerin zunächst auf drei Parameter, die ohne Kontakt bestimmt werden sollen: den Herzschlag, die Atmung und die Körpertemperatur. Das sei komplex genug für ein vierjähriges Forschungsprojekt, findet Gleichauf. Um das Ziel zu erreichen, kombiniert das Projektteam – außer Gleichauf und Niebler gehören dazu noch ein Master- und mehrere Bachelorstudenten – mehrere Kamerasysteme und ein Radar mit niedriger Sendeleistung. Das Wichtigste dabei sei die Sensorfusion: „Die Daten der verschiedenen Systeme müssen zu einer zuverlässigen und genauen Information zusammengefügt werden“, erläutert Gleichauf. Mit einer solchen Sensorfusion hat die junge Wissenschaftlerin bereits Erfahrung, allerdings auf einem ganz anderen Gebiet: Über Umwege landete die Studentin der Medizintechnik für ihre Masterarbeit bei einem Robotik-Projekt mit autonom fahrenden Rangierloks (Projekt VAL2020 in Kooperation mit DB Cargo). Das Prinzip sei aber das gleiche, meint sie, nur der Anwendungsfall sei eben ein komplett anderer.

Herzstück des Projekts sind maßgeschneiderte Algorithmen und Rechenmodelle

Die Sensoren selbst stehen bei diesem Ansatz nicht im Fokus der Entwicklung, deshalb verwendet das Team handelsübliche Kamera- und Radargeräte der Firma InnoSenT, die als Kooperationspartner in das Projekt eingebunden ist. Herzstück der Forschungsarbeiten sind stattdessen die maßgeschneiderten Algorithmen und Rechenmodelle, die die Kamerabilder und die Radardaten zu sinnvollen Informationen zusammenfügen und zuverlässig daraus die gesuchten Vitalparameter ableiten. So muss das System zum Beispiel später von der Oberflächentemperatur auf die Körpertemperatur des Babys schließen können – trotz Kleidung, Bewegung und anderer störender Einflüsse.

Für die Kameras ist die Vorentwicklung weitgehend abgeschlossen, sie können demnächst im klinischen Umfeld getestet werden. Unter anderem sammelt das Projektteam bei diesen Tests eine große Zahl von Aufnahmen; über neuronale Netze wird das System anhand der Bilder darauf trainiert, die gesuchten Parameter richtig zu erkennen und zu berechnen. Zum Einsatz kommen insgesamt drei Kamerasysteme: Eine Wärmebildkamera für die Körpertemperatur, dazu eine RGB-Farbkamera und eine so genannte Structured-Light-Kamera, die eine dreidimensionale Punktwolke liefert. „Diese Kamera ähnelt den Kinect-Kameras für die X-Box und ist sehr gut geeignet, um die Atembewegungen zu registrieren“, so Gleichauf.

Ohne Radar geht es nicht

Nachdem in den ersten zwei Jahren des Projekts der Fokus auf den Kameras lag, hat die Algorithmus-Entwicklung für das Radar gerade erst begonnen. Sie ist technisch anspruchsvoll, aber essenziell für das Gelingen des Projekts. Johanna Gleichauf erläutert, warum: „Das Gerät kann Distanzänderungen im Mikrometerbereich erkennen – diese Auflösung brauchen wir, um den Herzschlag sicher erkennen zu können. Und anders als die Kameras ist das Radar völlig unabhängig von den Lichtverhältnissen.“ Das ist gerade auf der Frühchen-Intensivstation wichtig, wo es wenig Licht gibt, weil die Kinder auf alle Reize empfindlich reagieren.

Auch das Radar muss später natürlich noch klinisch getestet werden, und zwar Schritt für Schritt: Erst an Erwachsenen und Baby-Dummys, später an normal geborenen Babys, die zum Beispiel wegen Gelbsucht auf der „Päppelstation“ der Klinik liegen. Erst wenn das gesamte System wirklich zuverlässig funktioniert, soll es auch für Frühchen eingesetzt werden – und zwar erst einmal parallel zu den klassischen Monitoring-Methoden, auf die Ärzte und Schwestern sich weiterhin verlassen können. Der Demonstrator ist schließlich noch kein zugelassenes Medizinprodukt. „Und Frühchen sind vermutlich die empfindlichsten Patienten, die es gibt“, meint Gleichauf. „Zudem sind ihre Eltern in einer emotionalen Ausnahmesituation. Deshalb berührt unsere Entwicklung einen besonders sensiblen Bereich, so dass wir hier auch besonders viel Rücksicht nehmen müssen.“

In diesem Sommer ist Halbzeit für das Projekt, und Johanna Gleichauf ist sehr zufrieden mit den bisherigen Fortschritten: NeoWatch liege genau im Zeitplan, sagt sie. Die Corona-Krise habe sich auf ihre Arbeit sogar positiv ausgewirkt: „Vor einem halben Jahr waren wir noch im Rückstand, aber wir konnten inzwischen vieles aufholen, weil wir viel Zeit und Ruhe für die Entwicklung der Algorithmen und Rechenmodelle hatten und insbesondere bürokratisch aufwendige Verfahren wie die Stellung des Ethikantrags vorantreiben.“

Nach Projektende ist noch viel Raum für Weiterentwicklungen

Natürlich hat das Team auch schon eine genaue Vorstellung, wie der Demonstrator einmal aussehen soll: Kameras und Radar werden in einer gemeinsamen Sensorbox montiert, die mit Magneten im Inneren des Inkubators angebracht wird. Doch das ist nur der erste Schritt zu einem umfassenden kontaktlosen Überwachungssystem. Johanna Gleichauf denkt schon mal ein Stück weiter in die Zukunft: „Zum einen wäre es natürlich sinnvoll, wenn das System irgendwann nicht an den Inkubator gebunden wäre, sondern das Monitoring der Kinder auch außerhalb des Brutkastens möglich wäre. Zum Beispiel wenn sie bei den Eltern auf der Brust liegen“, sagt sie. Dieses so genannte „Kangarooing“ ist wichtig für die Entwicklung der Babys und die Bindung zwischen Eltern und Kind.

Außerdem denkt die junge Wissenschaftlerin auch an den Ersatz weiterer Monitoring-Systeme – vorweg natürlich an ein kontaktloses EKG, denn die Klebeelektroden des klassischen EKG können schwere Hautschäden verursachen. Zudem war ursprünglich für NeoWatch auch die kontaktlose Gewichtsbestimmung geplant, die ebenfalls über das Kamera-Radar-System realisiert werden könnte. Allerdings, so Gleichauf, gebe es inzwischen moderne Inkubatoren mit integrierten Drucksensoren für die Gewichtsbestimmung. „Deshalb haben wir diesen Aspekt erst einmal zurückgestellt. Man könnte ihn aber theoretisch mit vergleichsweise wenig Aufwand in unser System integrieren.“ In jedem Fall ist nach Projektende noch genug Spielraum für weitere Entwicklungen, die Frühchen den Start ins Leben erleichtern.

NeoWatch selbst läuft noch bis zum Sommer 2022 – Johanna Gleichauf wird aber wohl auch danach an diesem Thema dranbleiben. Zu den autonomen Rangierloks will sie jedenfalls nicht zurück. Das Masterprojekt sei zwar lehrreich gewesen, meint sie. „Aber die medizinischen Themen liegen mir dann doch mehr.“