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Ein Implantat aus Zellen : Datum:

Stammzellen haben die nützliche Eigenschaft, sich in nahezu jedes Körpergewebe verwandeln zu können, wenn man ihre Entwicklung in die richtige Richtung steuert. Dies macht sich die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg im Projekt PersoImplant zunutze: Das Projektteam will körpereigene Stammzellen dazu bringen, sich in Knochengewebe zu entwickeln und als Bio-Implantat schwere Knochenschäden zu reparieren.

Unsere Knochen haben erstaunliche Selbstheilungskräfte und sind in der Lage, die meisten Brüche und Verletzungen vollständig zu reparieren. Bei größeren Schäden geraten sie aber an ihre Grenzen. Wenn die Verletzung des Knochens – zum Beispiel durch schwere Unfälle oder Tumore – so groß ist, dass sie nicht von allein heilen kann, spricht man von „Knochenschäden kritischer Größe“ (critical size bone defects). Zu ihrer Behandlung greifen Mediziner bisher auf verschiedene Optionen zurück: Sie nutzen Knochenmaterial aus anderen Körperregionen, setzen Titan-Implantate ein oder verwenden Knochenmaterial von menschlichen und tierischen Spendern.

Ein Knochen im Längsschnitt, dazu ein Zellkulturgefäß mit roter Flüssigkeit, ein Tabletten-Blister, eine Pipette und Pipettenspitzen
Knochenzelldifferenzierung in der Petrischale. Der Farbstoff Alizarin Red S färbt Kalzium in den Zellen rot, was als Nachweis dient, dass sich Knochenzellen gebildet haben. © Dorothee Hieschler, HBRS, im Auftrag für Edda Tobiasch

All diese Methoden haben jedoch Nachteile: Spendergewebe von Mensch oder Tier provoziert Abstoßungsreaktionen, bei Titanimplantaten im Kopfbereich klagen die Patienten über das hohe Gewicht des Implantats. Und an einer Stelle Knochengewebe zu entnehmen, um es an anderer Stelle einzupflanzen, verlagert das Problem erst einmal nur: „Bei Schäden im Zahnbereich etwa wird oft Knochenmaterial aus der Hüfte entnommen“, erläutert Prof. Dr. Edda Tobiasch, Projektleiterin von PersoImplant. „Das kann aber dazu führen, dass Patienten monatelang im Rollstuhl sitzen müssen, bis die Hüfte wieder stabil ist.“

Stammzellen können fast jedes Gewebe nachbilden

Deshalb wollen die Wissenschaftlerin und ihr Team einen anderen Weg finden, um Knochenschäden zu reparieren. Sie setzen auf Stammzellen: Das sind Zellen, die sich noch nicht zu einem bestimmten Zelltyp entwickelt haben, sondern sich prinzipiell in jedes Gewebe verwandeln können. Neben den ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen gibt es auch noch einen anderen Typ: So genannte adulte Stammzellen, die viele Körpergewebe als Reserve vorhalten, um wachsen und sich regenerieren zu können. Zwar sind diese Zellen schon etwas stärker festgelegt als die eines Embryos, aber mit den richtigen Mitteln lassen sie sich in die richtige Entwicklungsrichtung „schubsen“. Vor allem aber haben sie einen entscheidenden Vorteil: Da sie direkt aus dem Körper des Patienten entnommen werden können, werden sie als körpereigene Zellen erkannt und provozieren keine Abstoßungsreaktion.

In der Theorie klingt die Idee von PersoImplant also recht simpel: Man entnehme einem Patienten mit schwerem Knochendefekt ein paar Stammzellen, setze sie auf ein Trägermaterial, lasse sie darauf wachsen und bringe sie dazu, sich zu Knochengewebe zu entwickeln. So bekommt man eine Art lebendes, körpereigenes Implantat, das man dem Patienten einsetzt und das dann mit dem beschädigten Knochen verwächst. Das ist das langfristige Ziel dieser Arbeiten – wenngleich die Projektleiterin darauf verweist, dass sie an der Fachhochschule dieses Ziel nur bis zu einer bestimmten Grenze umsetzen kann: „Die anschließenden klinischen Phasen können, wie der Name schon sagt, nur an Kliniken durchgeführt werden.“

Der Teufel steckt oft im Detail - auch in der Forschung

In der Praxis hat die Entwicklung der Grundlagen für das „persönliche Implantat“ das Projektteam vor einige Herausforderungen gestellt. Zum Beispiel wusste zunächst einmal niemand, welche Stammzellen sich am besten für das Vorhaben eignen. „Wir wollten das Risiko minimieren, dass die Zellen sich in den falschen Zelltyp entwickeln“, erklärt Tobiasch. Daher war ein wichtiger Teil des Projekts die Suche nach dem besten Spendergewebe – ein Vergleich, den so bisher noch niemand angestellt hat. Vom Ergebnis will die Wissenschaftlerin vorerst nur so viel verraten: „Die Unterschiede zwischen den Geweben sind beeindruckend.“

Außerdem entwickelte das Team eine Technik, die die Zellen in die richtige Entwicklungsrichtung steuern soll – indem bestimmte Rezeptoren auf der Zelloberfläche blockiert oder aktiviert werden. Hier kämpfen die Forscher allerdings mit dem so genannten „burst release“: Die Wirkstoffe werden verkapselt und sollen eigentlich nach und nach freigesetzt werden, denn die Verwandlung von Stammzellen in spezialisierte Gewebezellen kann mehrere Wochen dauern. Bisher halten die Wirkstoffe sich aber nicht an diese Vorgabe. Da es sich meist um wasserlösliche Substanzen in einer wässrigen Umgebung handelt, wird das gesamte Depot auf einen Schlag oder zumindest in viel zu kurzer Zeit freigegeben. Die Suche nach der richtigen Kapseltechnik wird also noch eine Weile weitergehen.

Mindestens ebenso wichtig für das Projekt ist auch das passende Trägermaterial: Es soll dem natürlichen Knochengewebe möglichst ähnlich und außerdem biokompatibel sein, darf also keine Abstoßungsreaktion provozieren und auch keine Giftstoffe absondern. Und als wären diese Anforderungen nicht schon hoch genug, müsste sich der Träger eigentlich auch noch mit jedem Heilungsschritt verändern: Zuerst soll er die Verwandlung der Stammzellen in Knochengewebe fördern. Anschließend müsste er die Zellen dazu bewegen, in drei Dimensionen statt nur auf einer Fläche zu wachsen. Und zu guter Letzt sollte er sich kontrolliert abbauen lassen – aber natürlich erst, wenn seine Arbeit getan ist.

„Die bisher entwickelten Materialien können nicht alle diese Anforderungen gleich gut erfüllen“, sagt Kooperationspartnerin Prof. Dr. Margit Schulze, die ebenfalls an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg forscht und im Projekt für die Trägermaterialien zuständig ist. Deshalb konzentrierte sich das PersoImplant-Team auf Träger, die die Stammzell-Differenzierung unterstützen und zudem gut abbaubar sind. Hybridmaterialien aus einer „zementartigen“ Komponente für die Festigkeit und einer Komponente, die dem natürlichen Kollagen im Knochen ähnelt, hätten sich hier als am besten geeignet erwiesen, so Schulze.

Positive Bilanz zum Projektende

Da PersoImplant im Januar 2020 offiziell zu Ende geht, zieht Projektleitern Edda Tobiasch Bilanz. Es war, so berichtet sie, ein spannendes Projekt mit vielen Rückschlägen, die aber auch neue Erkenntnisse gebracht haben. „Wir wissen generell viel weniger über Knochen, als man gemeinhin glaubt“, erklärt die Forscherin – das mache allerdings auch den Reiz ihrer Arbeit aus. Gerade erst haben zwei andere Teams Studien publiziert, die bisherige Annahmen zur Knochenheilung und zur Stammzelldifferenzierung um neue Theorien ergänzen. Für Edda Tobiasch ein Glücksfall: Die neuen Erkenntnisse werden auch ihr helfen, ihre Arbeit weiterzuführen. Mittlerweile läuft schon ein Nachfolgeprojekt (Hybrid-KEM) für PersoImplant, das sich den offenen Fragen widmet und ebenfalls in der Förderlinie IngenieurNachwuchs gefördert wird.

Edda Tobiasch ist trotz aller Schwierigkeiten zufrieden mit dem, was ihr Team bisher erreicht hat. „Forschung verläuft nicht immer so wie man es sich wünscht“, sagt sie. „Nicht jeder Tag bringt einen neuen, kleinen Puzzlestein. Manchmal wird das ganze Bild plötzlich grösser, komplexer, und man ist plötzlich weiter weg vom Ziel als gedacht. Aber manchmal kann man auch einen größeren Stein in das Gesamtbild einsetzen. Es bleibt auf jeden Fall spannend, und jedes Steinchen ist ein Fortschritt und somit Vorteil für die zukünftigen Patienten.“